Dr. Marie-Christine Kajewski

Fellow von Oktober 2010 bis Februar 2012

Wissenschaftlich gehörte meine erste Liebe der Theologie. 2002 nahm ich das Studium der Katholischen Theologie an der Universität Passau auf, welches ich 2007 mit einer Diplomarbeit zum Thema: „Erfreue sich Adonaj an seinen Werken. Studien zu Psalm 104“ abschließen konnte. Da mich schon frühzeitig das Grenzgebiet von Politik und Religion interessierte, studierte ich seit 2005 auch Politikwissenschaft und Philosophie. Dabei vertiefte ich besonders die Politische Theorie und setzte mich aus Sicht dieser Disziplin mit Politischen Religionen und dem Fundamentalismus auseinander. Das Ergebnis dieser Schwerpunktsetzung bildet meine Magisterarbeit: „Die dunkle Seite der Moderne. Milbanks Radikal Orthodoxy“, die mich 2008 mein Studium beschließen ließ.

2007 wurde ich, nach Beendigung meines Theologiestudiums, an der Universität Erfurt Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie. Dort konnte ich weitere mögliche Verhältnisbestimmungen von Politik und Religion kennen lernen und mich vertieft mit Politischen Theologien befassen. Davon nicht unberührt trieb mich die Frage nach der Integration liberaler Gesellschaften um.

Dies führte schlussendlich zur zentralen Fragestellung meines Dissertationsprojekts. Dieses dreht sich um die integrative Kraft von Wahrheit und fragt, wie viel Wahrheit die liberale Demokratie braucht und verträgt. 2009 wechselte ich zur Erarbeitung des politikwissenschaftlichen Anteils des Projekts an den Lehrstuhl für Politikwissenschaft I der Universität Passau, wo ich bis vor kurzem als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Zudem wurde ich zeitgleich in die Promotionsförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen.

Neben dem Promotionsprojekt arbeite ich weiterhin an den Verhältnisbestimmungen von Politik und Religion, besonders im Werk Eric Voegelins. Am fiph möchte ich den Fokus meines Arbeitens allerdings auf den philosophischen Teil des Dissertationsprojekts legen und an dessen Wahrheitsbegriff feilen.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

"Die Dogmatik der Demokratie. Wie viel Wahrheit braucht und verträgt die liberale Demokratie?"

 Colin Crouchs Diagnose, wir als Einwohner westlicher Demokratien steuerten auf eine Postdemokratie zu, offenbart, dass die gesellschaftliche und die politische Sphäre immer weiter auseinander driften. Die dazugehörigen Symptome von Politikunfähigkeit auf Seiten der Bürger und Entscheidungsaktivismus auf Seiten der Politiker wurzeln in einer Relativierung und in einem Dezisionismus. Beide Formen klammern die Wahrheitsfrage aus und forcieren dadurch die gesellschaftliche Fragmentierung.

Angesichts dieser Diagnose fragt das Projekt nach der gesellschaftlichen Relevanz von Wahrheit. Ein Blick auf liberaldemokratische Theorien zeigt, dass liberale Denker den Wahrheitsbegriff unter Berufung auf erkenntnistheoretische und historische Gründe zu vermeiden suchen. Normative Demokratietheorien hingegen verorten Wahrheit entweder als Grundlage der Verfassung (Jaspers) oder als Zielperspektive des gesellschaftlichen Diskurses (Habermas). Die Spannung, die sich damit zwischen liberaler und normativ-demokratietheoretischer Tradition auftut, ist jedoch nur eine vermeintliche, die sich sachlogisch zu Gunsten der demokratietheoretischen Traditionslinie lösen lässt.

Liberale Demokratien können auch gar nicht auf Wahrheit verzichten, ohne ihre Funktionsfähigkeit zu gefährden, so meine These. Auf der Mikroebene befähigt Wahrheit die Bürger zur Handlung, auf der Makroebene integriert sie Gesellschaften.

Wenn Wahrheit folglich ein Platz in liberaldemokratischen Gesellschaftskonzepten gebührt, wie kann sie derart zur Sprache gebracht werden, dass sie die genannten Funktionen voll erfüllt? Schon Rousseau bemerkte, dass die Selbstgesetzgebung des Volkes das Herz der Bürger nicht erreicht und sie nicht veranlasst, die Gesetze zu lieben. Der einzige Ausweg, den er sah, war die transzendent-zivilreligiöse Umkleidung der immanenten Wahrheit. Doch möchte man die Etablierung einer Zivilreligion vermeiden, welche Sprachformen stehen zur Verfügung? Unter Rekurs auf Heidegger und Agamben soll dieser Frage nachspürt werden.

Das Forschungsprojekt zielt darauf, die eingangs skizzierten gegenwärtigen Problemlagen unter Rückgriff auf den Wahrheitsbegriff derart zu reformulieren, dass die erlangte Neubeschreibung dem gesellschaftlichen Selbstreflexionsprozess alternative Deutungsmodelle bereitstellt.