PD Dr. Lars Leeten

Fellow von Oktober 2015 bis September 2017

Ich habe in Osnabrück und Berlin die Fächer Philosophie, Germanistik und Semiotik studiert und wurde 2008 an der Technischen Universität Berlin im Fach Philosophie promoviert. Anschließend war ich sechs Jahre lang Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Hildesheim, wo ich 2016 habilitiert wurde. Zwischendurch brachten mich Gastdozenturen und Forschungsaufenthalte an die Universidade Federal do Pará in Belém, Brasilien (2009), an das Inter University Centre in Dubrovnik (2010) und an die Sun yat-sen Universität in Kaohsiung, Taiwan (2014). Von April 2015 bis März 2017 forsche ich als Visiting Researcher am „Department for Philosophy, Classics, History of Art and Ideas“ an der Universität Oslo. Eine der prägenden Erfahrungen meines akademischen Lebens ist, dass philosophisches Denken äußerst vielfältige Formen annehmen kann, die sich nicht auf einen Begriff bringen lassen.

In meiner philosophischen Arbeit beschäftige ich mich mit antiker und moderner Ethik, mit der Philosophie und Phänomenologie der Sprache und des Diskurses und mit der Geschichte der Philosophie seit Kant. Das Verhältnis von Philosophie und Rhetorik sowie der Zusammenhang von Sprache und Ethik sind dabei wiederkehrende Themen. In meiner Dissertation ging es um die Frage, welche Freiheitsspielräume vorausgesetzt sind, wenn wir die Welt interpretieren, und welche Verantwortung daraus resultiert. Eine zentrale Frage meiner gegenwärtigen Arbeit ist, wie sich diskursive Praktiken als ethische Praktiken begreifen lassen. Meine Habilitationsschrift erkundet Möglichkeiten, dieses Thema in Anknüpfung an antike Kulturen der Rede (Sophistik, Sokratik, hellenistische Übungspraxis) zu behandeln und mit Bezug auf die Philosophie der Alltagssprache (Austin, Wittgenstein, Cavell) zu diskutieren. Wie eine „Ethik diskursiver Praktiken“ aussehen kann, wird auch die Leitfrage meiner Arbeit am FIPH sein.

 

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Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

Grundmotive einer Ethik diskursiver Praktiken

Die kritische Reflexion der diskursiven Praxis, in der sich Auseinandersetzungen über Moral, Ethik oder Politik vollziehen, ist eine Kernaufgabe der Praktischen Philosophie. In der Gegenwart wird diese Aufgabe häufig primär als eine der begrifflichen Klärung und logischen Systematisierung aufgefasst. Alternativ dazu will dieses Projekt Ansatzpunkte gewinnen, um praktische Diskurse selbst als Praxis begreifen zu können, die ihrerseits ethischzureflektieren ist. Eine so verstandene „Ethik diskursiver Praktiken“ hat nicht weitere Regeln einzuführen, sondern in erster Linie die Vollzugsdimension von Diskursen so herauszuarbeiten, dass sie reflektierbar und kultivierbar wird. Systematisch leitend ist dabei die Überzeugung, dass ein angemessenes Verständnis von Diskursen nicht nur auf den Wahrheits- oder Sachbezug der Rede, sondern auch auf die im Sprechen manifest werdenden und im Zuge von Diskursen sich formenden Haltungen und Persönlichkeiten zu achten hat. Damit wird ein Thema aufgegriffen, das aus der rhetorischen Kultur als Ethos des Redners vertraut ist. Das Projekt zielt darauf, dieses Motiv im Horizont moderner Konzeptionen des Diskurses zu reformulieren und für ein differenzierteres Verständnis der komplexer werdenden ethisch-moralischen Kommunikation der Gegenwart heranzuziehen.

Mit dem Ethos des Redners sind drei Grundmotive verbunden, denen sich das Projekt widmen wird: Erstens wird in einem Sprechen für Andere ein Ethos sichtbar. Es ist nie nur als ein „Sagen“, sondern stets auch als ein „Sich-Zeigen“ bedeutsam. Gerade in Diskursen, die durch praktische Problemlagen angestoßen werden, ist daher nie nur der Gehalt der Rede, sondern stets auch die Art und Weise, wie geredet wird – die Vollzugsform –, von Interesse. In ihr können Lebensweise und Habitus der jeweils Sprechenden manifest werden. Zweitens sind Diskurse ein Ort der Selbstverständigung. In der „Rede“ findet die eigene ethische Position erst ihre Bestimmtheit; sie ist eine Praxis der Selbstklärung und Selbstkritik und steht damit auch im Spielraum von Wahrhaftigkeit und Selbsttäuschung. Drittens kann sich ein Ethos im Zuge von Diskursen potentiell verändern: In ihnen werden Formen des Sprechens und Denkens eingeübt und habitualisiert. Der Diskurs ist damit ein Ort der Selbsttransformation; er hat eine Bildungsdimension. Das beinhaltet, dass eine spezifische Diskurspraxis ihre eigenen Geltungskriterien generiert und stabilisiert, indem sie formend auf die Subjektivität der an ihr Beteiligten einwirkt.