Prof. emeritus Dr. Ryôsuke Ôhashi

Fellow von April 2013 bis März 2014

Von 1965 bis 1969 habe ich Philosophie an der staatlichen Universität Kyôto und von 1969 bis 1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert, wo ich mit der Arbeit „Ekstase und Gelassenheit – Zu Schelling und Heidegger“ summa cum laude promovierte. 1983 habe ich mich an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als erster Japaner in Deutschland habilitiert, wo mich viele philosophische Gespräche mit Heinrich Rombach verbanden. Als Professor für Philosophie lehrte ich von 1975 bis 1985 an der Medizinischen Shiga-Universität in Otsu, von 1985 bis 2003 an der Technischen Universität Kyôto, von 2003 bis 2007 an der Universität Osaka und von 2007 bis 2010 an der Buddhistischen Universität Ryukoku in Kyôto. Gleich danach hatte ich von 2010 bis 2013 an den Universitäten zu Köln, Wien, Hildesheim Gastprofessuren, zeitweise auch ein Fellowship im Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln inne.

Meiner philosophischen Herkunft nach bin ich Enkel-Schüler von Keiji Nishitani und Schüler von Max Müller. Seit meiner Dissertation über Schelling und Heidegger ging es mir um eine interkulturell-philosophische Begegnung des westlichen und des fernöstlichen Denkens. In der Habilitationsschrift gewann ich durch eine Destruktion der Hegelschen Logik Einsichten für eine Phänomenologie des Ortes, die einen Bereich erschließt, in dem das Absolute und das absolute Nichts, das Prinzip der europäischen Welt und das der ostasiatischen Welt, sich überschneiden.

Dies war schon ein Anliegen der Philosophie von Kitarô Nishida und der Kyôto-Schule, die ich 1990 (2. Aufl. 2011) den deutschsprachigen Lesern in einer Einführung zusammen mit einer kommentierten Sammlung von übersetzten Grundtexten (2. Aufl. 2010) nahegebracht habe. Mit ca. 170 Vorträgen in Ländern wie Japan und Deutschland, Frankreich und der Schweiz und den USA, Taiwan und China habe ich mich darum bemüht, einen bescheidenen Beitrag zur interkulturellphilosophischen Verständigung zu leisten.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

Pathos der Leere. Phänomenologie der „Compassion“ im gegenwärtigen Bewusstsein der Philosophie

Es geht in meinem Projekt um eine phänomenologische Bearbeitung der „Compassion“, die ursprünglich ein Grundbegriff des
Mahayana-Buddhismus ist und zusammen mit dem Begriff der „Großen Weisheit“ das fundamentale Begriffspaar dieser Richtung
des Buddhismus bildet. Allerdings wird „Compassion“ in meinem Projekt nicht im streng philologisch-buddhistischen Sinne Sinne übernommen. Der Begriff soll im Hinblick auf diejenigen Themen der gegenwärtigen Philosophie, die im traditionellen Buddhismus wegen ihrer zeitlichen Bedingtheit nicht zu finden sind, rekonstruiert, modifiziert und neu belebt werden. Ein philosophischer Zugang ist darin zu finden, dass das genannte Begriffspaar einigermaßen denjenigen der westlichen Philosophie wie „Sinnlichkeit und Vernunft“, „Pathos und Logos“, „Gefühl und Verstand“ usw. entspricht. Das Projekt ist deshalb in einer komparativinterkulturellen Sicht durchzuführen.

Weiterhin ist die Bearbeitung der Compassion in Form einer „Phänomenologie“ zu vollziehen. Das heißt, die Compassion soll nicht als eine „Doktorin“ ‚von oben‘, wie im Buddhismus, sondern in eins mit den philosophischen „Fragen“, sozusagen ‚von unten‘, das heißt anhand der konkreten Phänomene der Welt, Schritt für Schritt entwickelt werden.

Gewisse historische Vorarbeiten sind in der Philosophie der sogenannten Kyôto-Schule zu finden (vgl. den von mir herausgegebenen Band Die Philosophie der Kyôto-Schule, Freiburg i. Br. 1990, 2. Auflage mit neuer Einführung 2011). Die buddhistische Gesinnung wurde dort allerdings eher im Bereich der „Großen Weisheit“ als in jenem der Compassion in Betracht gezogen. Der Gründer der Schule, Kitarô Nishida, hat die „Logik des absoluten Nichts“ entwickelt. Erst mit dem Gedanken der „Leere“ bei Keiji Nishitani, dem wichtigsten Schüler Nishidas, wurde der Bereich der Compassion ins Auge gefasst und eröffnet. Dieser Bereich bedarf meines Erachtens einer phänomenologischen Methodik, wobei der Begriff der Phänomenologie selber gründlich untersucht werden soll. Die Auseinandersetzung mit den phänomenologischen Strömungen
des 20. Jahrhunderts, vertreten von Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty und anderen, ist daher unentbehrlich.

Nicht weniger bedeutsam als die „Methodik“ ist der Inhalt der „Erfahrung“ selbst. In dieser Hinsicht ist vor allem die Erfahrung der deutschen Mystiker in einer hermeneutischen Interpretation heranzuziehen.