Dr. Igor Smirnov

DAAD-Stipendiat von Oktober 2015 bis November 2015

Dr. Igor Smirnov wurde 1968 in Elektrostal bei Moskau geboren. 1993 hat er die Historische Fakultät der Lomonosov-Universität Moskau mit Auszeichnung absolviert; 1993-1996 war er Doktorand dieser Fakultät und wurde dort 1997 promoviert. Die Doktorarbeit „Vom Marxismus zum Idealismus: Tugan-Baranovskij, Berdjaev, Bulgakov“ ist als Buch 1995 in Moskau erschienen.

1996-2001 arbeitete Dr. Smirnov als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Historischen Fakultät der Lomonosov-Universität, am Lehrstuhl für Historiographie und Quellenkunde. Er war Leiter wissenschaftlicher Expeditionen zur Erforschung des russischen Altgläubigentums in der Südukraine, in Moldavien, Udmurtien und in der Ural-Region.

1998 hat er für das Sommersemester den Lehrauftrag „Russische Denktradition“ an der Universität Hannover angenommen.

2001-2011 war Dr. Smirnov führender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums der Gesellschaftswissenschaften der Lomonosov-Universität, und seit 2011 bis heute ist er Stellvertreter des Direktors dieses wissenschaftlichen Zentrums.

Seit 2001 ist er Redakteur der Zeitschrift „Filosofija hozjajstva“ („Wirtschaftsphilosophie“) und seit 2002 Herausgeber des Almanachs „Istorija mysli“ („Geistesgeschichte“).

Dr. Smirnov hat viele wissenschaftlichen Kontakte zum deutschsprachigen Raum gepflegt. Er hatte Forschungsstipendien in Hannover 1997-98, Mainz 2001, Wien 2002-03, Berlin 2004, Konstanz 2005, Bamberg 2008, Trier 2011. Seine Arbeit zum Vergleich der russischen Philosophie und der deutschen Romantik wurde 2007 in der „Zeitschrift für Weltgeschichte“ veröffentlicht. 2004 erschien in Moskau das von Smirnov übersetzte Buch „Ökonomismuskritik“ des schweizerischen Wirtschaftsphilosophen Peter Ulrich.

Die Forschungsinteressen von Dr. Smirnov liegen in der russischen und deutschen Geistesgeschichte, der historischen Komparatistik und der Wirtschaftsphilosophie.

Projekt am fiph

Politische Romantik im Vergleich: Carl Schmitt und die Romantikrezeption in Russland

Im Rahmen meiner bisherigen Arbeit habe ich die Übereinstimmung bzw. Verwandtschaft zwischen der deutschen Romantik (F. Schlegel, Novalis, Schleiermacher, A. Müller) und der russischen Philosophie des 19.-20. Jhs. erforscht. Es handelte sich dabei nicht etwa um einen Ideentransfer oder eine direkte Rezeption, sondern vielmehr um eine originelle Entfaltung der Ideen in Russland, die bei deutschen Verfassern entstanden. Eine gewisse geistige Gemeinsamkeit bilden hier einige Anknüpfungspunkte: Die philosophischen Prinzipien der Romantik wurden bis Mitte des 20. Jhs. in der russischen Philosophie verwendet und weiterentwickelt. In Russland fanden diese Ideen sehr großen Anklang. Das kann man über das deutsche Denken nicht sagen. In Deutschland hat die romantische Auffassung eine viel kürzere Geschichte und kann in ihrer Bedeutung nicht mit der klassischen idealistischen Philosophie verglichen werden. Eine ihrer Folgen ist wahrscheinlich der (Neu)Konservatismus – zu welchem man Carl Schmitt (1888-1985) zählt.

Die früheren Schriften von Carl Schmitt, die für diese Forschung vor allem von Bedeutung sind, wurden zur Zeit des Ersten Weltkriegs geschrieben bzw. stehen unter dessen Einfluss. Der Krieg war ein Wendepunkt sowohl im deutschen als auch im russischen Denken. Es geht also um eine weitere Erforschung des deutsch-russischen intellektuellen Zusammenwirkens. Reichweite und geistesgeschichtlicher Kontext der möglichen Reflektionen oder Übereinstimmungen bedürfen der Untersuchung und Präzisierung, damit wäre möglicherweise eine Lücke im Bild der Auseinandersetzung zwischen der deutschen und russischen Kultur geschlossen.

Um die Stellungnahme von Schmitt gegenüber der deutschen Romantik zu verstehen, muss man beachten, dass er aktuell-politische Gründe hatte, sich der Romantik zuzuwenden. Die Romantik war für ihn „nur der ferne Name für eine gegenwärtige Sache“. Meiner Meinung nach stellt sein Schaffen im beschriebenen komparatistischen Zusammenhang zwei Hauptprobleme.

Einerseits fand sich Schmitt selbst zuerst unter dem Einfluss der romantischen Tradition und speziell unter dem Einfluss von A. Müller, dessen Schriften er nach eigenen Angaben bewundert hat. Die romantischen Züge im Schaffen von Schmitt zu suchen und die Frage nach ihren – wenn auch impliziten – Reflektionen in Russland zu stellen, wäre eine interessante Aufgabe.

Andererseits markiert Schmitts Polemik gegen den „romantischen Geist“ seinen Abschied aus der Romantischen Tradition. Ich möchte erforschen und begreifen, was diese Kritik, ihre Motivation und Argumentation mit der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Erkenntnisse deutscher Romantik in Russland gemeinsam haben.