Leben und Gewalt: Simone Weils Kritik des Rechts

  • Termin: Di., 07. Januar 2020, 19:00 Uhr
  • Leitung: Prof. Dr. Jürgen Manemann
  • Ort: fiph, Gerberstr. 26, Hannover
Fellow-Vortrag Dr. Tom Vandeputte (Berlin/Amsterdam)

Der Vortrag widmet sich einem wichtigen, aber oft übersehenen Thema im Werk von Simone Weil: ihre Rechtskritik. In ihren Schriften der späten 1930er und frühen 1940er Jahre unternahm die französische Philosophin eine kritische Analyse der Grundsätze und strukturellen Bedingungen des Rechts. Dieses Projekt, das einen zentralen Platz in ihrem politischen Denken einnahm, wurde nicht in Form einer einzigen systematischen Abhandlung durchgeführt, sondern in verschiedenen Texten und Registern, die von ihrem Essay über die Kategorie der Rechtsperson bis zu ihrem Kommentar zur Ilias reichen. Mein Ziel in diesem Vortrag ist es, die in diesen verschiedenen Texten enthaltene Rechtskritik zu rekonstruieren, insbesondere ihre Beziehung zu zwei für Weils politisches Denken zentralen Begriffen: denen der „Gewalt“ (force) und des „Unglücks“ (malheur). Dabei werde ich zeigen, wie Weils Rechtskritik mit einem genealogischen Projekt verschränkt ist, das die Ursprünge des modernen Begriffs des Menschen als Träger von Rechten verfolgt und zugleich die Texte der Antike nach den Elementen eines anderen Gerechtigkeitskonzepts durchsucht, das weder auf Rache noch auf Recht reduziert werden kann. In dieser Genealogie zeigt sich Weils Rechtskritik, dass sie mit dem verwoben ist, was Giorgio Agamben als ihre Suche nach einem Prinzip beschrieben hat, das eine andere Politik orientieren könnte – eine Politik „jenseits von Recht und Person“.

Dr. Tom Vandeputte ist Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover und lehrt Kontinentalphilosophie und Kritische Theorie am Sandberg Institut Amsterdam, wo er auch das Critical Studies Department leitet. Seine Forschungsschwer­punk­te sind Theorien der Sprache und Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Beziehung zum politischen Denken. Sein Buch Critique of Journalistic Reason: Language and History After Hegel erscheint 2020 bei Fordham University Press.